Meine Erfahrungen mit Depressionen

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Wie alles begann

 

Viele Leute erkranken an Depressionen. Einige wissen lange nicht, dass sie an Depressionen erkrankt sind. Andere merken bloss, dass etwas nicht mehr so ist, wie es früher war. Mir wurden Depressionen von meiner Mutter vererbt. Sie hat bereits früh gemerkt, dass ich Depressionen habe. Es hat wohl immer wieder Phasen und Situationen gegeben, in denen sie es gemerkt hat. Ausgebrochen sind sie aber erst im Jahr 2016. Ich war gerade mal 16 Jahre alt und hatte soeben meine Ausbildung zur Kauffrau begonnen. Mir ist es seit dem ersten Arbeitstag nicht gut gegangen. Ich hatte ein komisches und unwohles Gefühl an meinem Arbeitsplatz. Ab dem ersten Tag habe ich begonnen zu weinen, sobald ich meinen Arbeitsplatz verlassen hatte. So ging es dann jeden weiteren Tag. Egal ob mittags beim Nachhause gehen oder am Feierabend. Ich hatte nur noch geweint. Essen konnte ich auch nichts mehr. Ich hatte dieses bedrückende Gefühl in meiner Brust, als ob ich keine Luft mehr kriegen würde. Das Schlafen habe ich auf das Maximale heraus gezögert, denn je früher ich schlief, umso früher war auch wieder morgen und ich musste zur Arbeit. Ich habe meiner Mutter jeden Tag gesagt, dass ich nicht mehr könne, doch ich erhielt immer nur dieselbe Antwort: «Das geht jedem so im ersten Ausbildungsjahr». Doch ich spürte, dass es bei mir anders war. Aber ich machte weiter. Nach einigen Monaten war ich völlig emotions- und gefühlslos.

 

«Ich fühlte weder Freude noch Trauer.»

 

Weinen konnte ich nicht mehr. Ich war innerlich komplett leer. Nach einem halben Jahr wurde es jedoch noch schlimmer. Ich konnte wieder nichts essen, hatte viel abgenommen und ich wurde ständig krank. Natürlich war es meine Psyche, die mir Krankheiten vortäuschte, um mal zur Ruhe zu kommen. Immerhin glaubte mir meine Mutter endlich, dass es so nicht mehr weitergehen konnte und ich durfte abbrechen. Wovon niemand etwas wusste, waren meine Selbstverletzungs- und Suizidgedanken. Ich war ein halbes Jahr arbeitslos und suchte nach anderen beruflichen Möglichkeiten. So stiess ich auf die Handelsmittelschule. Die begann ich dann auch im Sommer 2017. Dort vertraute ich mich einem Mediator an. Ich sprach das erste Mal über dieses traumatische Erlebnis meiner Lehre. Ich hatte mehrere Sitzungen bei ihm, bis er sich bei einer Sitzung gezwungen fand, mit mir zu einer Notfallpsychologin zu gehen. Sie wurde dann meine Psychologin und diagnostizierte etwas später mittelschwere bis schwere Depressionen.

 

«Ein Schock für meine Familie.»

 

Im Oktober desselben Jahres erhielt ich Antidepressiva. Der Psychiater, der mir diese verschrieb, informierte mich darüber, dass diese zu Beginn zur Folge haben können, dass Selbstverletzungen und suizidale Absichten verstärkt werden können. Dem war leider so und ich begann mich zu ritzen. Nicht sehr schlimm, ich versuchte es an Stellen zu tun, an denen es niemand sah.

 

Einige Monate später waren meine Suizidgedanken so schlimm, dass meine Psychologin Angst um mein Überleben hatte und schickte mich in eine Psychiatrie. Dort ging es mir jedoch noch viel schlechter. Ich war eingesperrt, durfte nicht nach draussen gehen und war den ganzen Tag allein, ohne jegliche Aktivitäten. Sie gaben mir andere Medikamente, ohne dies mit mir abzusprechen. Meine Mutter versuchte fast jeden Tag, mich dort rauszubekommen, doch ohne Erfolg. Immer kamen andere Gründe, warum ich noch nicht gehen durfte. Meinem Vater reichte es dann. Er kam und sagte ihnen, er gehe nicht ohne seine Tochter und es funktionierte ohne Probleme. Ich durfte wieder nach Hause. Ich brauchte einige Zeit, um mich wieder zu beruhigen und von den Medikamenten, die sie mir dort gegeben haben, weg zu kommen, ohne zu grosse Nebenwirkungen zu bekommen. Nach meinem Aufenthalt in der Psychiatrie begann ich dann, mich stärker und tiefer zu ritzen. Mir war egal, wenn es an Stellen war, die jeder sehen konnte. Ich hielt es nicht mehr aus. So wurden es immer mehr und mehr, bis ich an meinem Arm keinen Platz mehr fand. Als ich 18 Jahre alt wurde musste ich meine Psychologin wechseln, was mich zuerst sehr traurig und Angst machte. Aber nach einigen Versuchen habe ich dann die Richtige gefunden. Ich hatte auch viele Medikamentenwechsel, da ich bei jedem sehr starke Nebenwirkungen hatte. Mittlerweile habe ich auch da die richtigen gefunden.

 

Meine aktuelle Lage

Heute bin ich 21 Jahre alt. Meine Depressionen sind immer noch da, doch mit den richtigen Medikamenten habe ich sie ziemlich gut im Griff. Ich bin bei der Invalidenversicherung angemeldet und bekomme gute Unterstützung, um mich wieder in einen Beruf einzugliedern. Ich hatte lange Probleme, nach der Handelsmittelschule wieder im kaufmännischen Bereich zu arbeiten, da ich ein Trauma in diesem Beruf erlitten hatte. Mit der richtigen Hilfe der IV bin ich auf gutem Weg und werde mein Praktikum, welches zur Handelsmittelschule dazugehört, diesen August beginnen. Zwar werde ich es über zwei Jahre und zu 50% machen, da ich mehr nicht arbeiten kann. Aber ich habe mittlerweile gelernt, dass das überhaupt nicht schlimm sondern völlig okay ist. Jeder Mensch ist unterschiedlich und wenn man nicht 100% arbeiten kann, dann ist das auch in Ordnung.

 

Was hat mir geholfen?

Bei Depressionen gibt es viele verschiedene Phasen. Es gibt Zeiten, in denen geht es einem gut. Doch die depressive Phase ist nicht weit entfernt. Später merkt man, wie es langsam bergab geht und dass man sich bedrückt und «seltsam» fühlt. Tage später befindet man sich dann im grossen, tiefen, schwarzem Loch. Man ist völlig aussichtslos, sieht keinen Ausweg mehr, keine Lebensfreude und keine glückliche und erfüllte Zukunft. Man denkt, man komme nie mehr aus diesem Loch heraus und sei dort gefangen, es würde nie besser werden. Diese Phase dauert am längsten, besonders wenn man noch nicht weiss, wie damit umzugehen. Ich habe jetzt seit 5 Jahren Depressionen und ich habe lange nicht gewusst, wie damit umzugehen. Nun habe ich gelernt, was mir hilft, wie ich aus einem depressiven Tief herauskommen und sogar, wie ich es nicht so weit kommen lassen kann. Das Allerwichtigste ist zu akzeptieren, dass man Depressionen hat. Davor geht gar nichts. Sobald sich Anzeichen von einer Depression zeigen, sollte man unbedingt zum Arzt gehen.

 

«Man darf keine Scheu haben, sich
jemanden anzuvertrauen.»

 

Das Wichtigste ist, darüber zu sprechen, alle Gedanken und Gefühle zu offenbaren. Es gibt nichts, wofür man sich schämen sollte. Depressionen sind eine ernst zu nehmende Krankheit. Wer nicht direkt zu einem Psychologen gehen will, kann auch zuerst zu seinem Hausarzt gehen, sie können gute Kontakte zu einem Psychologen weitergeben und eine erste Einsicht bekommen. Je nach Schweregrad kann eine medikamentöse Behandlung sehr gut helfen. Anfangs hatte ich Bedenken, Medikamente nehmen zu müssen, doch wer stark unter den Depressionen leidet, wird merken, dass es anders nicht geht und sich vielleicht sogar darüber freuen, eine Unterstützung durch Medikamente zu bekommen. Es kann je nach dem etwas länger dauern, bis die richtigen Antidepressiva gefunden werden. Wenn dann aber die richtigen gefunden wurden, kann es nur noch bergauf gehen. Wie bereits oben erwähnt, jeder Mensch ist unterschiedlich, es kann natürlich auch sein, dass Antidepressiva nicht anschlagen. Heutzutage gibt es viele Behandlungsmöglichkeiten. Ihr/e Psychiater/in wird die richtige Methode finden. Ich habe lange geglaubt und gedacht, ich werde nie wieder aus den Depressionen herauskommen. Depressionen werden nicht einfach so verschwinden, aber sie sind gut behandelbar. Man braucht dafür nun mal sehr, sehr viel Geduld. Man darf nie aufgeben.

 

«Es werden wieder bessere Zeiten kommen, auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt.»

 

Vertraut euch jemanden an, sprecht viel und häufig darüber. Es wird immer Menschen geben, die es nicht verstehen und die einem sagen, Depressionen seinen nur Kopfsache und man solle an etwas anderes denken. Das stimmt natürlich nicht und es braucht viel mehr, als an etwas anderes zu denken. Aber dann hat man nicht die richtige Person gefunden. Ich habe zu weit gesucht, um den richtigen Ansprechpartner zu finden. Die meisten und die besten sind oft sehr nah. Viele nahestehende Personen werden überfordert sein. Sie werden nicht wissen, wie damit und vor allem mit der depressiven Person umzugehen. Was mir und meinem Umfeld sehr geholfen hat, ist ihnen zu sagen, was mir hilft und was mir guttut. Ich habe ihnen auch gesagt, in welchen Situationen und Phasen sie am besten handeln sollen. Dadurch wussten sie genau, in welcher Phase ich mich befinde und wie sie damit umzugehen hatten. Diese Unterstützung ist schon die halbe Miete. Jetzt muss man nur noch an sich selbst arbeiten.

 

Ich habe immer Listen geschrieben mit Aufgaben, die ich an einem Tag zu erledigen hatte. Das mache ich auch heute noch und das hilft mir sehr, eine Struktur und ein Ziel zu haben. Der Tag wird stressfreier und man hat eine gute Übersicht. Es kann aber auch Tage geben, an denen man nichts von dieser Liste schafft. Das ist schon okay. Jedem Menschen fehlt einmal die Kraft. An solchen Tagen habe ich mich ausgeruht und bestmöglich versucht, Stress und Aufregung zu vermeiden. Bei Depressionen ist Ablenkung sehr wichtig.

 

«Wenn man das Gefühl hat, der Kopf fliegt einem weg, dann muss unbedingt Ablenkung her.»

 

Da ich schon immer ein sehr naturfreudlicher Mensch war, hat es mir sehr geholfen, nach draussen zu gehen. Bei Depressionen ist es meistens so, dass man an Dingen, an denen man immer Freude hatte, einem keine Freude mehr bereiten. Das ging mir auch so. Wichtig ist hier, nicht einfach nichts zu tun, sondern neue Hobbies und Glücksmomente zu finden. So bin ich aufs Volleyball gestossen. Ich spiele jetzt seit circa 3 Jahren und habe sehr grosse Freude daran. Sport ist bekanntlich die beste Medizin und das stimmt auch. Als sehr tierliebender Mensch habe ich häufig meinen Vater besucht, der zwei Hunde hat und ich war teils den ganzen Tag bei ihm und habe mit den Hunden gespielt, bin mit ihnen spazieren gegangen und habe mit ihnen gekuschelt. Seit einem Jahr haben wir zwei Katzen, die mir viel Lebensfreude geben. Als musikalischer Mensch hilft mir ebenfalls das Klavierspielen, das ich seit mehr als zehn Jahren mache. Ich habe mir das Klavierspielen selbst beigebracht und habe auch heute noch Freude daran, neue Lieder zu lernen. Auch das Fotografieren hat mir immer sehr Freude bereitet und in depressiven Phasen geholfen. Wie sie sehen, haben alle meine Hobbies mit Ablenkung zu tun. Je mehr Ablenkung, umso besser. Auch Familie und Freunde sind sehr wichtig. Wenn die Familie und die Freunde wissen, was sie brauchen und was ihnen hilft, dann können sie mit spontanen Ausflügen eine schöne Zeit geniessen und den Kopf für einige Stunden ausschalten. Positive Gedanken und täglich kleine Ziele zu setzen ist besonders wichtig. Ohne kleine Ziele sieht die Welt und die Zukunft noch aussichtsloser aus. Freude an kleinen Dingen und kleinen Erfolgen hilft und so übersteht man die depressiven Phasen.

 

Ich fasse kurz die wichtigsten Punkte zusammen, die mir geholfen haben und es auch immer noch tun:

  • Medikamente
  • Psychotherapie
  • Freunde
  • Familie
  • Menschen mit gleichen/ähnlichen Erfahrungen
  • Musik (Musik hören oder selbst Musik machen)
  • Natur
  • Tiere
  • Ausflüge/Aktivitäten
  • Volleyball
  • Fotografieren
  • Positive Energie
  • Struktur (-ierter Alltag)
  • Schreiben (Texte, Gedanken, etc.)
  • Darüber sprechen
  • Sich jemanden anvertrauen
  • Hilfe suchen

 

Nach einiger Zeit findet jeder seine richtige Therapie, ob bei der Psychotherapie oder zu Hause. Der richtige Weg, um Depressionen gut zu überstehen, wird kommen. Glaubt an euch, eure Fähigkeiten und an eine Besserung. Bei einigen dauert es länger, bei anderen dauert es weniger lang, aber irgendwann, wenn die Zeit richtig ist, wird es besser werden. Vertraut mir, ich habe es auch geschafft, obwohl ich es mir nie erträumen konnte.

 

 

Chantal Bongard

Thanks for sharing

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